Texte eigene

Konzept

„Meine Malerei umspannt das Faßbare, sowie das Unfaßbare"

Seit 1978 nenne ich meine Malerei "Offene Malerei". Eine Position, die geschlossene Systeme zurückweist und im Austausch mit dem Anderen, mit dem was verschieden und fremd ist, die Chance zur individuellen und kulturellen Entwicklung erkennt. Zur näheren Kennzeichnung dieser interkulturellen Haltung verwende ich seitdem auch die Begriffe: "Durchlässigkeit" und "Nicht-Abgeschlossenheit". Meine Konzepte, Entwürfe und Realisierungen gehen aus einer prozesshaften Arbeits– und Denkweise hervor. Ich möchte daß der Entstehungsprozess des Bildes sich zurückverfolgen läßt und somit transparent bleibt.Weiterhin wird der Prozess der Formung nicht bis an sein Ende getrieben und ist so offen für Auslegungen des Betrachters. Das Bild bleibt unauflösbar und rätselhaft

Auch wird man das "Wiedererkennbare" in meinen Bildern nicht finden. Da die abstrakte Kunst die sichtbare Welt nicht wiederholt, steht sie in einem besonderen Spannungsverhältnis zu ihr und genau darin liegt ihre einzigartige Bedeutung. Die abstrakte Kunst kann in Regionen vorstoßen, die anderen Formen der Kunst, insbesondere der mimetischen, verschlossen sind. Meine Bilder fordern den Betrachter auf, sich unvoreingenommen auf sie einzulassen und den Zwang, das Gesehene sprachlich einordnen zu müssen, vorerst zurückzustellen, damit die Sphäre des Visuellen nicht von der Sprache überlagert wird und für sich erkannt werden kann.

"Eros und Geist", Sinnlichkeit und Spiritualität, sich im Bild manifestieren zu lassen, betrachte ich als eine wichtige Aufgabe. Dem Geistigen eine Form zu geben, einen Ort und einen Körper, ist notwendig und umso aktueller, je mehr die Realität von der Digitalisierung beherrscht wird. Deshalb muß auch das Problem der Körperlichkeit - als Gedächtnis der Evolution - neu bewertet und stärker beachtet werden. Also betone ich die Bedeutung der "körperlichen Präsenz" des Bildes für die "visuelle Erkenntnis", von der unser Realitätsbewußtsein abhängt; mehr noch, an dem es sich herausbildet.

Alfried Hagedorn






Malerei

Nachdem ich die Entwicklung "lichtkinetischer Apparate, Raumobjekte und Mobilés" einstellte und mich wieder der Malerei zuwandte, entschied ich mich, Licht, Farbe und Energie zum Zentrum meiner Arbeit zu machen. Anfangs bediente ich mich der Spritztechnik.. Durch die Entdeckung der vielförmigen japanischen Pinsel entwickelte ich dann meine Lasurtechnik mit Acrylfarben, die vorwiegend auf Beimischungen von Deckweiß verzichtet und in Schichten aufgetragen wird, also transparent wirkt. Spannweiten auszuloten und Extreme durch "Übergänge", in Form und Farbe zu vermitteln, wurde ein dominantes Thema, welches später mit der tibetanischen Idee des "Bardo", was Übergang bedeutet, verbunden wurde.

Dieses Konzept entfaltet sich in vielen Bildern zwischen den Polen Schwarz und Weiß, als ein Geflecht von Beziehungen und Nuancen. Die im Anfang einfachen Bildstrukturen wurden immer beziehungsreicher und komplexer und bekamen schließlich einen kristallinen und fraktalen Charakter, der sich mit einer wolkenhaften Leichtigkeit paarte. Positiv- und Negativbereiche werden so aufeinander abgestimmt, daß das fertige Bild als ein labiles Gleichgewicht erscheint. Das Weiß des Grundes, welches in Restformen erhalten bleibt, spielt in den meisten Bildern eine wichtige Rolle, als Grund an sich, oder als die Summe der Farben, gleich Licht. Es ist Folie und Konstante zugleich, vor der die Bildprozesse ablaufen und auf die sich alles bezieht.

Alfried Hagedorn






Manifestationen des Lichtes

Über meine Malerei zu schreiben bedeutet für mich, mich den Quellen zu nähern aus denen sie kommt. Sie steht im Kontext des Ganzen, kann nicht isoliert werden. Wenn man die Bedeutung des Visuellen für sich und die Umwelt erkennen möchte, müßte man die Sprache in sich still werden lassen und zur Kontemplation finden.

Wenn mein Blick die Welt befragt, wenn ich die Wesen, die Dinge und ihr Umfeld auf mich wirken lasse, geschieht etwas mit mir. Ich erlebe, wie mich ihre Energie erfaßt und ich anfange zu verstehen. Zu verstehen, warum das eine so ist, und das andere anders. Aber auch, wie leicht es ist alles zu verwirren und zu zerstören.

Malen ist ein Vorgang der Verwirklichung, dessen Ergebnis. nicht vorhersehbar ist, ein offener Weg. Aus einer Fülle von Entwürfen werden wenige ausgewählt, die meinen Kriterien standhalten können. Diesen gebe ich die ihnen entsprechende Dimension. Die ganzheitliche Orientierung meines Denkens erlaubt es nicht, Unerklärliches oder Widersprüchliches auszuscheiden. Das wofür wir heute keine Antennen haben, könnte morgen zur Grundlage des Neuen werden.

Das Fundament der Wahrnehmung ist die Welt des Sichtbaren. Es ist eines meiner Anliegen, die Energien, die das Sichtbare ausformen, in der Malerei erfahrbar zu machen. Gleichzeitig versuche ich ein Gleichgewicht zwischen einander ergänzenden Kräften, wie positiv und negativ, herzustellen.

Es gibt in meiner Malerei keine bekannten, wiedererkennbaren Formen, da ich zeigen möchte, wie diese entstehen. Bekannte Formen würden die Aufmerksamkeit eines Betrachters fesseln, seinen Blick für das, was ich zeigen möchte, verschleiern. Ich möchte Bilder malen, die wie Batterien sind und ihre Energien langsam in der Zeit entfalten, die sich nie verbrauchen, sondern immer wieder regenerieren.Ich sehe im Bild Energien sich transformieren und in vielfältigen Schichten und Zuständen gerinnen.
Zur Kennzeichnung meiner Malerei verwende ich seit einigen Jahren den Begriff "Durchlässigkeit", welcher Materie und Licht vereinigen kann.

Der Bildung eines ästhetischen Bewußtseins kommt heute eine wichtige Rolle zu, da der Mensch die Erscheinungsweise der Welt mit Hilfe der Technik stark verändern kann. Bilder haben einen größeren Einfluß auf das Handeln der Menschen, als mancher geneigt ist zuzugeben. Es besteht allgemein die Tendenz, die Kunst auf das Ästhetische und Dekorative einzuengen, da man ihre Bedeutung als Träger von Botschaften nicht wahrhaben will.

Für mich ist der Begriff "Bild" ein umfassendes und elementares Wort, welches die Bilder des Denkens und der Vorstellung einschließt. Bilder haben die Kraft etwas zu zerstören und etwas werden zu lassen. Wenn es gelänge, die verhängnisvollen Bilder in uns aufzulösen, würden wir Raum für bessere Bilder schaffen. "Triffst du jemanden der nicht lächelt," sagen die Thais, dann schenke ihm dein Lächeln."

In Thailand habe ich viele kleine, in Oberflächen eingearbeitete Spiegel gesehen, die ihre Reflexe wie Pfeile verschießen. Ich habe Dächer gesehen, die spitz in den Himmel auslaufen, als wollten sie den Himmel mit der Erde versöhnen. Ich habe Farben gesehen die Wärme und Würde ausstrahlen. Und Menschen, die einfach wie Kinder und still sein können. Und, überall lenken goldene Oberflächen das Licht der Sonne auf alles.

Alfried Hagedorn, 30. Nov. 87

Katalog National Gallery of' Thailand" Jan. 1988
Ausstellung mit Pratuang Emcharoen, Sadamasa Motonaga und Gerd Knäpper






Der „Innere Raum“

Das vorherrschende Problem der Kunst von der Renaissance bis ins 19. Jh. war die richtige Darstellung des Raumes und seiner Körper. Erst die Moderne Kunst lenkte ihr Interesse weg von der Perspektive zu anderen Formen der Darstellung. Dieser Wandel fällt ungefähr zusammen mit der vollkommenen Eroberung des Raumes unserer Erde und einer immer besseren Kenntnis anderer Kulturen, aber auch mit den revolutionären Erkenntnissen der Physik.

Der Focus des Interesses schwenkt vom äußeren Raum zum inneren Raum. Die Neugierde geht unter die Haut - im wahrsten Sinne des Wortes - und weiter in die Tiefen des Unbekannten jeder Art. Die Mauern der Welt, wie alles Materielle, werden durchsichtig und verlieren ihre Konsistenz. lhre Substanz erscheint plötzlich als etwas Vorläufiges. Materie ist schlummernde Energie geworden und das Band elektromagnetischer Wellen wird langsam von der Technik erobert. Die Geborgenheit alter Zeiten weicht einem geistigen Zustand, für den Relativität zum neuen Inhalt geworden ist.

So geraten die alten Gewißheiten der Kunst ins Kreuzfeuer einer kritischen Forschung. Der schnelle Wechsel der modernen Stile gleicht einem unsicheren Tausch von Positionen und ist Ausdruck der Suche nach adäquaten Darstellungsformen für das neue Weltbild. Der Impressionismus projeziert das Netzhautbild auf die Leinwand in dem Glauben, es sei das wirkliche Bild. Der Kubismus facettiert die Gegenstände, um die Gleichzeitigkeit ihrer Aspekte zu realisieren. Der Expressionismus macht die Farbe auswechselbar, um sie an die Affekte zu ketten. Die abstrakte Kunst befreit Form und Farbe schließlich ganz vom Gegenstand, um beide in den Dienst des Wesentlichen, Prinzipiellen und Geistigen zu stellen.

Selbst das Sehen hat seine Unschuld längst verloren, denn Sehen ist von Wissen und Erfahrung nicht mehr zu trennen. Zwischen uns und der Welt befindet sich der Apparat der Wahrnehmung, der Form und Inhalt des Erkannten mitgestaltet. Das Kunstschaffen selbst bekommt einen hypothetischen Charakter, wie die Denkvorgänge der Wissenschafftler. Die Welt wird von uns interpretiert, bevor wir sie als Ganze gesehen haben. Wir machen uns eine Vorstellung von ihr in dem Wissen, daß diese revidiert werden wird.

ln allen Bereichen wird heute gemacht, was gemacht werden kann. Die Frage jedoch, was diese Dinge bewirken werden, inwiefern sie dem Leben schaden und die geistige Entwicklung behindern, wird selten gestellt.

Eine meiner Hypothesen besagt: Wer sich selbst Raum geben kann, der kann auch anderen Raum geben. Kultur und Freiheit werden so zu einer Frage des Zulassens und Öffnens. Bilder, die dieses Thema und seine Energien verkörpern, können wie Bojen sein, die um Untiefen herumführen. Der „innere Raum“ wird eine Quelle zukünftiger Entwicklungen sein. Der Begriff der „innere Raum“ ist allerdings nicht nur auf diese ethische Kraft allein zu beschränken, sondern läßt sich in viele Dimensionen hinein projezieren.

Meine Malerei ist dem modernen Prinzip des Offenen und Durchlässigen verpflichtet. Die Qualität eines Bildes besteht darin, daß seine Energien sich auf immer neue Weisen einem Betrachter offenbaren und die Kontemplation in ständiger Bewegung bleibt. Die Offenheit und Durchlässigkeit des Bildes symbolisiert einerseits die kosmisch-irdischen Energien, die alles durchdringen, und steht andererseits für die geistige Haltung, die eine fortschreitende Erkenntnis, sowie die Gestaltung des Lebens auf dieser Erde ermöglichen.

Alfried Hagedorn, 1994

Galerie Cogito, Setubal/ Lissabon